Cookies müssen in Deinem Web-Browser aktiviert sein.
Der Film
Frankreich, Ende des 19. Jahrhunderts. Louise Violet (Alexandra Lamy), eine Lehrerin aus Paris, wird aufs Land geschickt, um eine Schule zu eröffnen. Auch Kinder aus Bauernfamilien sollen in der Republik lesen und schreiben lernen – so will es das Gesetz. Doch das Landleben sieht anders aus. Die Kinder werden als Erntehelfer gebraucht, um das Überleben ihrer Familien zu sichern. Louise Violet stößt mit ihren Bildungsidealen nur auf Unverständnis. Doch obwohl sich zunächst keines der Dorfkinder im Klassenzimmer blicken lässt, bleibt sie standhaft. Das imponiert Bürgermeister Joseph (Grégory Gadebois), der die geheimnisvolle Außenseiterin nicht nur für ihre Intelligenz bewundert. Mit seiner Unterstützung gelingt es, die skeptischen Eltern umzustimmen. Doch in Louise Violets Vergangenheit gibt es ein tragisches Geheimnis, das bald ans Licht kommen wird und ihren Kampf für Bildungsgerechtigkeit in Frage stellt.
Nachdem er mit BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL, À LA CARTE! und DIE EINFACHEN DINGE bereits Millionen Zuschauer in Deutschland begeistert hat, kehrt Regisseur Éric Besnard mit LOUISE UND DIE SCHULE DER FREIHEIT auf die große Kinoleinwand zurück. Eine bewegende Tragikomödie, die von einer besseren Welt durch Bildung für alle träumt; und mit sanfter Strenge und viel Einfühlungsvermögen die Geschichte einer Frau erzählt, die sich für ihre Überzeugungen einsetzt. LOUISE UND DIE SCHULE DER FREIHEIT ist feinstes französisches Kino – mitreißend erzählt, von bestechender Klugheit und eingebettet in jene malerisch schönen Bildkompositionen, für die wir das Kino von Éric Besnard so lieben.
Der Regisseur
Nach einem Studium der Politikwissenschaften zog es Éric Besnard zum Film. 1998 erschien sein erster Spielfilm LE SOURIRE DU CLOWN, bei dem er nicht nur Regie führte, sondern auch das Drehbuch verfasste. Als Drehbuchautor arbeitete er auch mit Regisseuren wie Nicolas Boukhrief (CASH TRUCK – DER TOD FÄHRT MIT), Mathieu Kassovitz (BABYLON A.D.) und Thomas Vincent (THE PROTOCOL) zusammen. 2008 führte er Regie bei der Krimikomödie CA$H– ABGERECHNET WIRD ZUM SCHLUSS mit Jean Dujardin. Im folgenden Jahr drehte er den Abenteuerfilm 600 KILO PURES GOLD. 2012 entstand sein bisher persönlichster Film, MES HEROS, mit Josiane Balasko und Gérard Jugnot. 2015 gelang Éric Besnard mit der herzerwärmenden Komödie BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL sein bisher größter Erfolg. Der feinfühlige Film, der auf humorvolle und leichte Art die Geschichte eines jungen Mannes mit Asperger-Syndrom erzählt, zog allein in Deutschland über 700.000 Zuschauer ins Kino.
Filmografie (Auswahl)
2024
LOUISE UND DIE SCHULE DER FREIHEIT
2023
DIE EINFACHEN DINGE
2021
À LA CARTE! - FREIHEIT GEHT DURCH DEN MAGEN
2019
L‘ESPRIT DE FAMILLE
2015
BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL
2012
MES HEROS
2010
600 KILO PURES GOLD
2008
CA$H – ABGERECHNET WIRD ZUM SCHLUSS
1998
LE SOURIRE DU CLOWN
Alexandra Lamy
Hauptdarstellerin
Nach ihrem Unterricht am Konservatorium von Nîmes und der Pariser Schauspielschule Cours Florent ab 1990 zog es Alexandra Lamy zuerst ans Theater. In einem Werbespot von Regisseur Patrice Leconte absolvierte sie 1995 ihren ersten offiziellen Auftritt vor einer Kamera. Einem breiteren Publikum wurde sie durch „Un gars, une fille“ bekannt, der französischen Adaption einer kanadischen Sitcom, in der sie an der Seite von Jean Dujardin (THE ARTIST) zu sehen war. Die Serie wurde zwischen 1999 und 2003 ausgestrahlt und umfasst fünf Staffeln mit insgesamt 486 Folgen. Neben ihrer Arbeit als Film- und Serienschauspielerin war sie auch weiterhin am Theater tätig, unter anderem am Théâtre de Paris.
Filmografie (Auswahl)
2024
LOUISE UND DIE SCHULE DER FREIHEIT
2021
MAMME ANTE PORTAS
2018
LIEBE BRINGT ALLES INS ROLLEN
2016
WILLKOMMEN IM HOTEL MAMA
2013
MIT GANZER KRAFT
2012
MÄNNER UND DIE FRAUEN
2009
LUCKY LUKE
Grégory Gadebois
Hauptdarsteller
Nach dem Abschluss seines Studiums an dem Pariser „Conservatoire National Supérieur d’Art Dramatique“, Frankreichs ältester und bedeutendster Schauspielschule, spielte Grégory Gadebois zunächst Theater. Er stellte sein grandioses Talent unter anderem am „Théâtre du Peuple“ in Bussang, am „Théâtre de Sartrouville et des Yvelines“ sowie am „Théâtre National de la Colline“ unter Beweis. Von 2006 bis 2011 war er Ensemble-Mitglied der prestigeträchtigen „Comédie Française“, eines von nur sechs Theatern, das in Frankreich den Status eines Nationaltheaters innehat, und das einzige, das ein festes Ensemble engagiert. In Film- und Fernseh-Produktionen war er zunächst hauptsächlich in Nebenrollen zu sehen. 2010 übernahm er in Alix Delaportes ANGÈLE UND TONY zum ersten Mal eine Hauptrolle und wurde für seine herausragende Leistung prompt mit dem César als Bester Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet. Es folgten César-Nominierungen als Bester Hauptdarsteller für seine ergreifende Darstellung in MEINE SEELE FÜR DEINE FREIHEIT (2014) und als Bester Nebendarsteller in Roman Polanskis packendem Historiendrama INTRIGE (2020), das sich mit der Dreyfuß-Affäre auseinandersetzt.
Filmografie (Auswahl)
2024
LOUISE UND DIE SCHULE DER FREIHEIT
2023
DIE EINFACHEN DINGE
2021
À LA CARTE! – FREIHEIT GEHT DURCH DEN MAGEN
2020
INTRIGE
BIS AN DIE GRENZE
2018
LE JEU – NICHTS ZU VERBERGEN
EIN DORF ZIEHT BLANK
2017
MARVIN
2013
MEINE SEELE FÜR DEINE FREIHEIT
HAPPY METAL – ALL WE NEED IS LOVE!
2010
ANGÈLE UND TONY
Interview(s)
mit Regisseur Éric Besnard
Wie ist diese Geschichte entstanden?
Meine ersten drei Filme waren eine Hommage an meine Vorlieben als Filmliebhaber und die nächsten drei an meine engsten Familienmitglieder: meine Mutter, meine Frau und meinen Vater. Ich wollte meine Kinder in Ruhe lassen und beschloss, mich mit meinem Land zu beschäftigen, mit der französischen Identität und ihren Besonderheiten. Ich begann, mich mit der Aufklärung auseinandersetzen und fand heraus, wie das erste Restaurant gegründet wurde. Daraus wurde À LA CARTE. Daraufhin habe ich meinem Produzenten Christophe Rossignon gesagt, dass ich Lust hätte, diesen Weg weiterzugehen und mich mit dem Konzept der Republik zu beschäftigen. Wer Republik sagt, meint die Dritte Republik, und wer die Dritte Republik sagt, meint Bildung, ein Thema, das mir schon lange am Herzen liegt. So entstand die Idee, einen Film über die Schule von Jules Ferry und dann über die ersten Lehrerinnen zu drehen, die Ende des 19. Jahrhunderts auf das Land geschickt und in eine Männerwelt geworfen wurden. Diese Gegenüberstellung, das Zusammentreffen zweier Bewegungen, einer progressiven und einer konservativen, war interessant.
Hat Louise Violet wirklich existiert?
Sie hat nicht existiert, sie ist ein Aggregat aus vielen verschiedenen Dingen. Louise ist der Vorname, den ich fast allen meinen weiblichen Figuren gebe. Man kann darin auch eine Anspielung auf Louise Michel sehen, aber man muss präzisieren, dass diese revolutionäre Figur eine, sagen wir, autonome Lehrerin vor der Dritten Republik war und nicht zu den Schwarzen Husaren gehörte. Andererseits hat sie mit meiner Figur gemeinsam, dass sie an der Kommune teilgenommen hat und ins Zuchthaus gegangen ist. Aber Louise Michel blieb Revolutionärin, während meine Figur sich dafür entschied, Reformerin zu werden.
Wie und wie viel haben Sie über diese ersten Lehrerinnen und Lehrer recherchiert, die 1886 aus dem Lehrerseminar kamen und als Laienmissionare in die Dörfer geschickt wurden?
Ich habe gelesen, was ich gefunden habe, aber es gibt nur wenig, vor allem in Bezug auf Frauen, und ich musste Vermutungen anstellen. Wie ist das möglich? Es gibt ziemlich viel Literatur über Lehrerinnen in der Zwischenkriegszeit, insbesondere dank der Arbeit der Historikerin Mona Ozouf, und ich dachte mir, dass es viele Gemeinsamkeiten bei den Lebensbedingungen und der Mentalität zwischen diesen beiden ziemlich ähnlichen Epochen gibt. Ich habe auch Romane wie Émile Zolas „Die Erde“ gelesen, ein lehrreiches Werk über die bäuerliche Welt am Ende des 19. Jahrhunderts.
Sind das republikanische Modell, die Werte Frankreichs in Bezug auf die Laizität und die Bildung Themen, die Sie begeistern?
Das war schon immer so. Bevor ich Regisseur wurde, habe ich mich in der Politik mit Bildungsfragen beschäftigt. Unsere durch den Laizismus geeinte Republik wird angegriffen, unsere Gesellschaft ist zunehmend kommunitaristisch und viktimistisch. Ich wollte zeigen, woher man kommt, wer man ist und dass es nicht einfach war, an diesen Punkt zu gelangen. Es ist die Geschichte eines langen Kampfes, um eine kostenlose Schule für alle zu erhalten. Frauen und Männer haben dafür gekämpft und sind manchmal sogar gestorben. Meine Aufgabe als Filmemacher ist es, darüber zu berichten.
Wurde die Dritte Republik von diesen Bauern, die Angst davor hatten, dass ihr Land gestohlen oder aufgeteilt werden könnte, gut angesehen?
Nein, und das Schlüsselwort, das ihnen damals Angst machte, war „die Teiler“, obwohl sie eine fast irrationale Beziehung zum Eigentum an ihrem Land hatten. Es ist mehr als ein Schatz, es ist etwas, das von Generation zu Generation vererbt wird. Ihre Identität hängt von ihrem Land ab, das ein unschätzbares Gut ist. Wenn man dem die Proudhonianer gegenüberstellt, die sagen, dass Eigentum Diebstahl ist und dass alles gemeinschaftlich sein muss, ergeben sich zwei diametral entgegengesetzte Denkweisen. In diesem Kontext entwickelt sich meine Figur.
Angesichts dieser Schule, die zur Pflicht wird, sind die Vorbehalte groß – weil die Kinder nützliche Helfer auf den Feldern sind, Sklaven, wie Louise sagt, oder auch aus Angst vor der vermittelten Bildung, die ihnen die Möglichkeit zur Wahl bieten wird?
Es sind Arbeitskräfte, die von den Feldern abgezogen werden. Aber auch die Eltern haben Angst vor der Übertragung von Autorität. Diese Bauern wollen die Bildung ihrer Kinder kontrollieren und nicht, dass ein Dritter, vor allem aus dem republikanischen Paris, zu ihnen kommt und das Leben erklärt. Mit der Idee, die im Film zum Ausdruck kommt: Ich will auf keinen Fall, dass meine Kinder mehr wissen als ich, weil sie mich dann vielleicht rausschmeißen oder weggehen. Wissen ist Offenheit und potenzieller Aufbruch. Wem soll man dann das Land vererben, wenn die Kinder weggehen? Es ist ein umfassender und verwirrender Paradigmenwechsel, dem sich die Bauern stellen müssen. Und der wird schließlich Landflucht heißen.
Nach À LA CARTE, der am Vorabend der Französischen Revolution angesiedelt war, ist dies Ihr zweiter Film aus der damaligen Zeit. Ist es komplizierter, damit umzugehen als mit einem zeitgenössischen Film?
Es ist komplizierter und gleichzeitig einfacher. Man muss auf alles achten, auf jedes Detail, bis hin zum verwendeten Wasserglas, damit es historisch korrekt ist, aber dadurch hat man auch mehr Kontrolle über das Ganze. Die künstlerische Leitung und die Identität des Films sind stärker ausgeprägt. Außerdem kann man sich durch das Fehlen von elektrischem Licht auf das Wesentliche zurückbesinnen: auf das Spiel zwischen Licht und Dunkelheit.
Was hat Sie dazu bewogen, die Rolle der Louise Violet mit Alexandra Lamy zu besetzen?
Für Louise wollte ich jemanden, der die Lehrerin symbolisiert: sympathisch, empathisch und aus der Zivilgesellschaft stammend. Alexandra ist all das. Sie ist im doppelten Sinne des Wortes beliebt und ein typisches „girl next door“, das sich mit den männlichen Charakteren, mit denen sie es zu tun bekommt, auseinandersetzen und ihnen die Stirn bieten kann. Meine Idee war es von Anfang an, eine Filmschauspielerin mit Schauspielern aus dem Theater zu konfrontieren. Alexandra ist eine explosive Schauspielerin, die praktisch ihre gesamte Karriere in der Schauspielerei verbracht hat. Wir mussten vor allem das, was in ihr vibriert, die Energie, die sie hat, festhalten und sie gleichzeitig das ausdrücken lassen, was Louise erlebt hat und was latent unter Verschluss ist: die Gewalt der Kommune, der Schmerz über den Verlust geliebter Menschen, die Wut, der Zorn, kurz gesagt: das Feuer unter dem Eis. Es war ein echtes Vergnügen, ihr diese dramatische Rolle anzuvertrauen.
Zu Beginn des Films sind ihre Gesichtszüge markant, dann werden sie weicher. Haben Sie sie im Laufe der Geschichte anders beleuchtet und gefilmt?
Ja, die Idee dieser Erotisierung der Figur, die allmählich ihren Platz findet, ist völlig gewollt. Wenn man seinen Platz gefunden hat, wird man immer schöner. Am Anfang ist Louise voller Zweifel: Wird sie durchhalten oder nicht, wird sie es schaffen, ihre Mission zu erfüllen? Und sie wird zunächst zurückgewiesen, sie leidet darunter, das ist hart. Umso mehr, da ihr Weg von vergangenen Verlusten geprägt ist. Sie versucht weiterzumachen und trotz allem zu leben. Nur ihre Mission hält sie aufrecht. Und dann wird sie nach und nach akzeptiert, sie wird von den Kindern genährt, die sie in die Welt entlässt. Und sie beginnt wieder zu leben. Zu strahlen.
Was sagten Sie Alexandra Lamy über Louise, das nicht im Drehbuch stand, um ihr zu helfen, sie zu verkörpern? Welche Spielanweisungen besprachen Sie mit ihr?
Wir haben im Vorfeld der Dreharbeiten viel über Louise diskutiert. Alexandra muss alles wissen, also stellt sie Fragen, um den Off-Screen-Bereich der Figur aufzubauen, ihre Gewohnheiten, ihre Denkweise, einschließlich ihrer Sexualität. Wenn dann die Dreharbeiten beginnen, wissen wir, wohin wir gehen. Wir wissen beide, wer Louise ist. Manchmal haben wir Korrekturen vorgenommen, je nachdem, was wir empfunden haben. Zusätzliche Worte, die sie aussprechen musste. Manchmal haben wir verschiedene Dinge ausprobiert. Die Idee war immer, sich in Richtung Minimalismus zu bewegen. Auch wenn ich dafür meinen Text kürzen muss.
Ist Louise Ihrer Meinung nach eine Frau, die in jeder Hinsicht fortschrittlich oder modern ist, wie der von Jérôme Kircher gespielte Postbote des Dorfes sagt?
Um die Terminologie des neunzehnten Jahrhunderts zu verwenden, ist sie eine Frau, die aus der Bewegung kommt, im Gegensatz zum Widerstand. Die ersten akzeptieren die neuen Technologien, die Eisenbahn, die Fotografie, ... und gehen von der Idee aus, dass all dies dazu da ist, um geteilt zu werden und dass es letztendlich das tägliche Leben aller verbessern wird. Das ist ein universalistischer Feminismus! Was das Fotografieren betrifft, so gefiel mir, dass sie nach einer Weile wieder anfing, Schnappschüsse zu machen, als Zeichen eines wiedergefundenen inneren Friedens. Sie kann sich wieder mit ihrer Vergangenheit verbinden - ihr Mann war Fotograf -, sie ist wieder in der Lage, die Schönheit der Welt zu sehen, sie ist wieder in Resonanz mit der Gegenwart. Sie sagte, sie sei tot, aber sie lebt wieder.
Es ist eine Zeit, in der man, wenn man wie die von Jérémy Lopez gespielte Figur im Dorf nebenan geboren wird, ein Fremder ist. Wollten Sie auch diesen Rückzug ins Private zeigen?
Ja, ich habe das Gefühl, dass ich mit dem Thema Republik ein politisches Kino mache. Wenn man anfängt zu sagen, dass alles die Schuld des anderen ist, desjenigen, der dort lebt oder von dort kommt, gerät man in das Sündenbock-Syndrom. Es war lustig, daran zu erinnern, dass der Fremde damals der aus dem Dorf nebenan war. Die Gruppe wird durch den Gegensatz zur Andersartigkeit aufgebaut. Im Laufe der Zeit haben sich nur die Entfernungen verändert...
Jérémy Lopez spielt Rémy, den Archetyp des gewalttätigen Patriarchats. Was wollten Sie durch ihn ausdrücken?
Ich wusste zunächst nicht, dass die Rolle der Louise von Alexandra Lamy gespielt werden würde, aber ich schrieb für Grégory Gadebois und für Jérémy Lopez. Beide sind Schauspieler, mit denen ich bereits zweimal zusammengearbeitet hatte. Ich wollte, dass Jérémy, wenn nicht das Lumpenproletariat, dann auf jeden Fall den armen Bauern repräsentieren sollte. Denjenigen, der im Agrarsystem gescheitert ist. Derjenige, dessen Sohn am meisten von der Bewegung der Geschichte profitieren wird, weil Remy ihm nicht viel zu vererben hat, außer seiner Wut. Das Schicksal hilft ihm nicht, er ist „ein Verfluchter des guten Gottes“. Er will sich in das Dorf integrieren, also ist er noch mehr gegen die Moderne, als wolle er den anderen ein Zeichen geben. Er praktiziert einen integrativen Konservatismus!
Es ist eine andere Frau, die Mutter des Bürgermeisters, gespielt von Annie Mercier, die sich für die Aufnahme der Lehrerin einsetzt. Aus welchen Gründen?
Aus zwei Gründen. Sie versteht, dass es eine einmalige Gelegenheit für ihren Sohn ist, diese Frau, die bei ihnen wohnt, zu „fangen“. Wenn es ihm gelingt, sie zu heiraten, hat er quasi im Lotto gewonnen. Sie verfügt über ein Wissen und Auftreten, das ihn glücklich machen kann, ihn gegenüber anderen aufwertet und sicherlich seinen sozialen Aufstieg fördert, vielleicht sogar bis hin zum Abgeordneten. Und dann gibt es noch eine andere Dimension: Sie sieht das Leiden bei Louise und es gibt eine Leidensgemeinschaft ohne Konkurrenz. Es ist mehr als eine feministische Selbsthilfe, es ist eine Solidarität des Schweigens. Sie weiß, dass Louise eine starke Frau ist.
Nach À LA CARTE und DIE EINFACHEN DINGE arbeiten Sie zum dritten Mal mit Grégory Gadebois zusammen, der hier Joseph, den Bürgermeister des Dorfes, verkörpert. Was gefällt Ihnen an ihm?
Er ist einzigartig! Das ist sehr beeindruckend. Ich habe übrigens kein anderes Beispiel als ihn. Er hat diese Bescheidenheit, die wie ein Minderwertigkeitskomplex wirkt, hinter der sich aber in Wirklichkeit ein außergewöhnlicher Beobachter der Menschheit verbirgt. Er bleibt übrigens immer am Set, auch wenn er nicht spielt. Um verfügbar zu sein, aber auch, davon bin ich überzeugt, um Haltungen, Gesten und Zögern zu „stehlen“. Er arbeitet. Sein Spiel, sein Schweigen und sein Zuhören sind unglaublich. Ich möchte ihm Rollen anbieten, die es ihm ermöglichen, das gesamte Spektrum seines Talents zu veranschaulichen. Ich könnte den ganzen Tag damit verbringen, für ihn zu schreiben.
Joseph ist stark, dominant, wohlhabend und entscheidungsfreudig, manchmal gewalttätig. Man entdeckt ihn aber auch als sensibler als er zu sein scheint. Er leidet unter Einsamkeit. Wie sind Sie auf diese komplexe Figur gekommen?
Für Joseph wollte ich diese Komplexität eines Mannes, der dominant wirkt, aber nicht weiß, wie er mit dieser Frau umgehen soll, die viel gebildeter und stärker ist als er. Aber ich wollte auch nicht, dass er sie vergöttert. Historisch gesehen wäre dies falsch gewesen. Der Gegensatz zwischen ihnen ist komplex, es ist wie ein Tanz, ein Schritt vor, ein Schritt zurück und die Zustimmung wird respektiert. Sie macht eine enorme Entwicklung durch, er wird toleranter, menschlicher. Er wird zu einem natürlichen Anführer, der sich um andere kümmern kann, weil er an Selbstvertrauen gewonnen hat. Weil er nicht mehr vorgeben muss, stark zu sein. Weil er für das geschätzt wird, was er ist.
Die natürlichen Kulissen, hier die Haute-Loire und der Puy de Dôme, sind in Ihren Filmen sehr wichtig. Sind Sie mehrmals dorthin zurückgekehrt, um die Jahreszeiten wiederzugeben?
Ja. Da der Film von der Erde und ihrer Nutzung handelt, konnten wir nicht einfach schummeln. Also haben wir im Winter und im Frühling gedreht. Der Zeitzyklus ist nicht nur für die landwirtschaftliche Arbeit wichtig, sondern auch für die Schule. Ein Schulzyklus besteht aus Kastanien im Herbst, Schneebällen, Wiesen und der Sonne. Ich musste die Jahreszeiten zum Leben erwecken. Im August vor den Dreharbeiten hatte ich Christophe Rossignon gesagt, dass wir im September Weizenfelder säen müssten, wenn wir im Frühjahr Erntebilder drehen wollten, und er setzte es um. Wir ließen die Felder, auf denen schon lange nichts mehr wuchs, vorbereiten und die unzähligen Steine entfernen, die auf ihnen lagen.
Wird der Rhythmus des Films, diese Form der Langsamkeit, vom Leben in dieser Zeit diktiert?
Er wird von dem Wunsch diktiert, den ich hatte, im Tempo einer anderen Zeit zu sein, die vom natürlichen Zyklus geleitet wird. Wenn man im Rhythmus der Sonne lebt und nicht so rennt wie heute. Es gibt weniger Rhythmuswechsel. Weniger künstliche Dinge. Keine Autos, Digitaltechnik oder Teleportation. Nur eine Zeit, die vom Wetter und den zu erledigenden Aufgaben geprägt ist. Eine gedehnte Zeit.
Wie haben Sie sich über das damalige Leben auf dem Land informiert?
Durch das Lesen. Ich habe in einigen Romanen die Sitten und Gebräuche der Bauern entdeckt, auch ihre Neurosen, und habe daraus Dialoge gemacht. Und dann durch Besuche vor Ort. Während der Dreharbeiten kam mir die Idee, die okzitanische Sprache in den Film einzubringen. Die Symbolsprache für all die Sprachen, die die Schule in ihrem Inneren verbieten wird. Ich hörte die Leute Patois sprechen und fragte sie, ob sie Musiker oder Geschichtenerzähler kennen, die diese Tradition fortführen. Und ja, es gab sie. Als ich nach Hause kam, schrieb ich die Szene mit der Nachtwache. Sie erzählt viel von der lokalen Kultur, die in dieser Geschichte nicht fehlen durfte.
Wollten Sie mit diesem Film sagen, dass der mit Wissen verbundene Fortschritt, auch wenn er komplizierte Umwälzungen mit sich bringt, über den Konservatismus siegt und eine ganze Gemeinschaft tiefgreifend verändern kann?
Mein ganzes Kino sagt das. Nämlich, dass man dem Leben und dem Anderen vertrauen muss. Die Begegnung mit dem Anderen in seiner Andersartigkeit ist die Lösung. Der Andere, das bedeutet jemand mit einem anderen Geschlecht, aus einem anderen geografischen Raum, mit einer anderen Denkweise. Die Kunst der Konversation bestand nie darin, den eigenen Standpunkt durchzusetzen, sondern darin, dem Standpunkt des anderen zuzuhören und in der Lage zu sein, seine Meinung zu ändern. Genau das symbolisiert die Begegnung zwischen dieser Lehrerin und den Bauern. Sie haben alle Recht mit ihrem Standpunkt und niemand hat Unrecht, aber aus dieser Konfrontation entsteht etwas Wichtiges: die Wahlfreiheit, die den Kindern geboten wird.
Ist der Film LOUISE UND DIE SCHULE DER FREIHEIT der zweite Teil eines geplanten Triptychons?
Drei Filme, um was zu erzählen? Ein Koch vor der Revolution, eine Lehrerin in der Dritten Republik und danach? Sagen wir mal so: Ich habe zwei weitere, sehr weit fortgeschrittene Themen, die in diese Logik der Begegnung zweier gegensätzlicher Individuen passen, die sich um eine Funktion und einen Ort herum kristallisiert und in eine sehr starke Denkweise eingebettet ist. Das eine spielt im 20. Jahrhundert, das andere im 17. Jahrhundert. Also werde ich diesen Faden der Arbeit über mein Land fortsetzen. Wenn ich Amerikaner wäre, würde ich wahrscheinlich Westernfilme drehen. Ich liebe John Ford, Taylor Sheridan und Kevin Costner, die ihre Wurzeln erforschen und versuchen, herauszufinden, woher sie kommen. Dinge, bei denen wir vielleicht dazu neigen, sie zu vergessen. Manche Dinge erscheinen uns heute als selbstverständlich. Ich denke, es ist sehr hilfreich, sich an die unvorstellbaren Kämpfe zu erinnern, die geführt wurden, um sie zu erlangen. Damit wir sie besser schätzen können.
mit Hauptdarstellerin Alexandra Lamy
Was war Ihre erste Reaktion, als Sie das Drehbuch gelesen haben?
Ich fand, dass es eine sehr interessante Art war, über das nationale Bildungswesen zu sprechen: wie unser französisches System entstanden ist, woher es kommt. Mir gefiel auch die Position dieser etwas mysteriösen Frau, die mit den Männern auf dem Land konfrontiert wird und die dafür kämpfen wird, die Kinder, die von ihren Eltern als Arbeitskräfte betrachtet werden, abzuholen, ihnen Wissen zu vermitteln und ihnen die Möglichkeit der Wahl zu geben. Und dann spürte ich beim Lesen des Drehbuchs, dass es eine sehr wichtige Figur geben würde: die Natur. Die Ästhetik, die sich im Film wiederfindet, konnte man bereits beim Schreiben erkennen, das ganz nah an der bäuerlichen Welt, den Feldern und den Elementen im Laufe der Jahreszeiten war.
Was hat Sie an dieser Geschichte interessiert? Haben Sie diese bahnbrechenden Lehrerinnen, die allein in abgeschiedene ländliche Gebiete aufbrachen, für sich entdeckt?
Ja, und ich verstehe, dass dies eine Aufgabe ist, die viel Mut erfordert. Was die Stellung der Frau in der Gesellschaft im Jahr 1896 angeht, so ist das Wahlrecht noch weit entfernt, oder? Zweitens hat mir gefallen, was Louise verbirgt. Es war komplex, dies zu konstruieren, und das hat mich angezogen. Ich wollte zum Beispiel nicht, dass sie weint, weil ich mir dachte, dass sie schon jahrelang viel geweint haben muss. Man sollte ihre Widerstandsfähigkeit und sogar eine Art Härte spüren, die mit den durchgemachten Prüfungen und der verstrichenen Zeit zusammenhängt. Ich wollte auch, dass man sich vorstellt, dass sie bereit ist, einen Sprung zu wagen.
Was hat Sie an Louise am meisten angesprochen? Ihr Feminismus, ihre Kämpfe, ihre Verletzungen?
Eigentlich ein bisschen von allem. Natürlich gefällt mir ihr Feminismus. Die Aussagen des Films zu diesem Thema sind ziemlich zeitgenössisch. Außerdem ist sie eine Frau, die Entscheidungen trifft und bis zum Ende geht. Louise hat nichts mehr zu verlieren. Nur der Wunsch, sich um die Kinder in der Schule zu kümmern, hält sie zusammen, sonst stirbt sie. Aber man spürt, dass in ihr eine Wut und ein Zorn aufsteigen können und es ist sehr verführerisch, sie als Figur aufzubauen. Man muss sich zeitweise vorstellen, dass sie töten könnte und dass sie es vielleicht schon getan hat. Louise und ihre Verletzungen haben mich ein wenig an meine Großmutter mütterlicherseits erinnert. Sie hatte eine sehr schwierige Kindheit und hat einen Sohn verloren, als er 18 Jahre alt war. Obwohl sie noch andere Kinder hatte, darunter auch meinen Vater, trug sie das ihr ganzes Leben lang mit sich herum. Etwas in ihr war erloschen.
Kannten Sie Éric Besnard und seine Arbeit als Regisseur?
Ich hatte vor langer Zeit CA$H und 600 KILO PURES GOLD gesehen, zwei seiner ersten Filme. Dann BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL, DIE EINFACHEN DINGE und À LA CARTE, die mir sehr gut gefallen haben. Éric ist ein brillanter, charismatischer Mensch.
Sagte er Ihnen von Anfang an, dass er Ihre natürliche Energie bremsen möchte?
Ja, denn tatsächlich bewege ich mich im Leben und oft auch im Film viel und spreche schnell. Ich erinnere mich, dass ich, als ich im Winter bei Schnee mit den Dreharbeiten zum Film begann, gerade die Dreharbeiten zu THE GREEN DEAL (2024) hinter mir hatte und ein wenig in Panik geriet, weil ich die Stimme, den Rhythmus, diese neutralere und geradlinigere Sprechweise von Louise, die ich während der Vorbereitung gefunden hatte, verloren hatte. Ich sagte es Éric und er hatte es auch gespürt. Aber ich fand schnell wieder das richtige Tempo. Die Arbeit an der Stimme, auch wenn es nicht bedeutet, sie völlig zu verändern, ermöglicht es, auf viele Dinge hinzuweisen. Und ich mag es sehr, meine Stimme zu modulieren. Éric hatte das bemerkt, als ich ihm während der Lesungen die Texte der Off-Stimme des Films vorlas. Und das hatte ihn interessiert.
Wie haben Sie die Figur aufgebaut?
Ich habe sehr viele Bücher über die Kommune gelesen, eine Episode unserer Geschichte, über die wir wenig wissen. Ich habe nach Zeichnungen und Stichen aus der Zeit gesucht, ich wollte alles sehen, alles wissen. Louise war auf den Barrikaden, das ist schon etwas Besonderes, diese Gewalt der fliegenden Pflastersteine. Das hat mich genährt. Außerdem habe ich Éric im Vorfeld viele Fragen gestellt. Ich mag es wirklich, mir das Off-Screen-Leben der Figuren, die ich spiele, vorzustellen. In dieser Phase des Aufbaus bin ich völlig in der Ich-Form, ich entdecke, sauge auf, lerne. Was für ein Glück, dass wir diesen Beruf ausüben können!
Welche Eigenschaften teilen Sie sich mit Louise - vielleicht die Tatsache, dass Sie sich nie beschweren?
Ja, natürlich, das passt zu mir, ich erzähle nie von meinen Sorgen oder Schmerzen. Deshalb wollte ich, dass sie diese Form der Schamhaftigkeit in allen oder fast allen Lebenslagen beibehält. Außerdem war es eine Zeit, in der man sich nicht beklagte und wenig von sich preisgab. Man war schon froh, wenn man etwas zu essen hatte und schwieg.
Haben Ihnen die Kostüme geholfen, sich in Louise hineinzuversetzen?
Zunächst einmal muss man sagen, dass die Kostüme wunderschön sind und das dank der Kostümdesignerin Madeline Fontaine. Wenn man das Korsett den ganzen Tag lang trägt, kann man es nach einer Weile nicht mehr ertragen. Aber es brachte diese sehr weibliche und weiche Silhouette und vor allem eine Haltung, eine Geradlinigkeit, fast eine Zurückhaltung der Figur. Ein- oder zweimal wollte ich ihn ein wenig lockern, aber das funktionierte nicht so gut, ich war weniger Louise. Am schwierigsten zu handhaben waren die Schuhe. Die Sohlen und das feine Leder, wie damals. Im Schnee auf Skiern aus dem 19. Jahrhundert dachte ich, dass ich meine Zehen verlieren würde. Ich weiß wirklich nicht, wie sie das gemacht haben. Sie waren härter und kampferprobter als wir wahrscheinlich.
Éric Besnard sagt, dass er eine Filmschauspielerin gegen Theaterschauspieler spielen lassen wollte, weil es dem Anliegen des Films diente: Louise wird konfrontiert mit diesen sehr konservativen Männern vom Land. Haben Sie das auf die eine oder andere Weise empfunden?
Er hatte es mir nicht gesagt, aber ich habe es sehr wohl gespürt, denn tatsächlich kommen viele der Schauspieler im Film aus dem Theater. Kann man sagen, dass ihnen eine reine Filmschauspielerin gegenübersteht? Vielleicht nicht, denn ich habe auch in einigen Stücken mitgespielt. Aber ich habe verstanden, dass er Schauspieler wie Jérémy Lopez brauchte, die es gewohnt sind, konsistente und sehr geschriebene Texte zu spielen und hörbar zu machen, was nicht einfach ist. Ich liebe es, wenn man sich bis auf das letzte Wort an den Text hält. Außerdem hatte ich das Gefühl, mit ihnen eine Truppe zu sein. Es gab viel Solidarität, Ratschläge und wenig Ego.
Wie war es, die Wut zu spielen, die Louise in sich trägt? Auch weil das etwas war, womit Sie noch nie experimentiert hatten?
Ich hatte noch nie einen Historienfilm gedreht und das hat mich sehr interessiert, weil ich Zwänge liebe. Hier waren es die Kostüme, die Perücke und die Fülle des Textes. Außerdem musste man die Figur von Anfang bis Ende durchhalten. Louise zu verkörpern war eine kleine Herausforderung, denn es sind keine Rollen, die mir oft angeboten werden. Ich habe schon viele Kämpferinnen gespielt, aber eine Frau, bei der man spürt, dass das Feuer unter dem Eis schwelt, war etwas Neues.
Bei Louise hat man zunächst das Gefühl, dass sie harte Gesichtszüge hat, aber im Laufe der Geschichte wird sie weicher. Hatten Sie das Gefühl, anders gefilmt zu werden, und war das geplant?
Ja, wir hatten das mit Éric besprochen und sogar die Momente notiert, in denen sie wieder zu lächeln begann, da sie bis dahin völlig verschlossen war. Und wir hatten beschlossen, dass sie von diesem Moment an aufblüht, sich fast aufhellt, indem sie wieder Geschmack am Leben findet.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Grégory Gadebois, mit dem Sie zum ersten Mal spielen? Hatten Sie einige seiner Filme gesehen?
Natürlich, auch Kurzfilme, darunter „Pile poil“, der einen César erhalten hatte. Was für ein toller Schauspieler! Was für ein Vergnügen, mit ihm zu arbeiten. Wenn man ein Talent wie ihn vor sich hat, ist es schwer, schlecht zu sein. Er bringt seinen Text auf den Punkt, und glauben Sie mir, das ist bei manchen Schauspielern nicht immer einfach. Man spürt die Überlegungen, die er im Vorfeld angestellt hat, und dann hält er sich daran. Er hat diese unglaubliche Qualität des Zuhörens, diese Großzügigkeit, diese Lust, mit anderen zu arbeiten, und diese gegenseitige Unterstützung, die außergewöhnlich ist.
Es gibt eine Form von Langsamkeit in dieser Umsetzung. Spiegelt sie den Alltag der Bauern zu dieser Zeit wider und hat Sie diese Langsamkeit erstaunt?
Das ist der Grund, warum ich Ihnen von dieser anderen wichtigen Figur im Film, der Natur, erzählt habe. Sie ist in dem Sinne imposant, dass sie Ihnen einen Rhythmus aufzwingt, wie sie ihn den Bauern damals aufzwang, und ich glaube, Éric gefällt das. Heute wollen wir alles unter Kontrolle haben, vor etwas mehr als einem Jahrhundert waren es die Erde und das Wetter, die ihre Gesetze diktierten. Regen, Schnee, Neuanfang – Éric hat es gefilmt und dabei entstehen oft wunderschöne Bilder. Ich finde, dass diese verlangsamte Zeit Emotionen schafft, die einen packen und tragen. Vielleicht liegt es daran, dass wir es nicht mehr gewohnt sind, zur Ruhe zu kommen und alles zu schnell geht.
Würden Sie sagen, dass der Laizismus und die republikanische Erziehung heutzutage verloren gehen, oder sind Sie optimistisch?
Ich bin eher optimistisch eingestellt, aber es ist so wichtig, dass es die Republik und den Laizismus gibt. Man ist sich nicht bewusst, wie glücklich man in Frankreich ist, eine kostenlose und laizistische Schule zu haben. Diese Schule ist der einzige Ort, an dem man eine Reihe von Kenntnissen erwerben kann, die gemeinsam gelernt werden, die also von allen geteilt werden und die zusammenführen. Die laizistische Schule ist für manche Kinder vielleicht der einzige Ort, an dem ihnen nichts aufgezwungen wird.
mit Hauptdarsteller Grégory Gadebois
Nach À LA CARTE und DIE EINFACHEN DINGE ist dies der dritte Film, in dem Sie unter der Regie von Éric Besnard spielen. Was gefällt Ihnen so sehr an ihm?
Ich mag seine Persönlichkeit und seine Handschrift. Alles ist miteinander verbunden, aber es ist kompliziert, diese Dinge zu erklären, und vielleicht sollte man das auch nicht tun. Gut, es gibt zum Beispiel etwas, das ein bisschen dumm ist, aber mir gefällt: Man spürt, dass er sich freut, uns zu filmen, dass er mit uns vor Ort ist. Ich mag auch, wie er seine Figuren erschafft und wie er mich sieht.
Was hat Sie dieses Mal an der Geschichte interessiert?
Ich muss zugeben, wenn Éric mir etwas zum Lesen vorschlägt, weiß ich im Voraus, dass es mir gefallen wird. In diesem Fall gefiel mir sofort die Figur des Bürgermeisters und Landwirts, aber auch die Zeit und das Milieu, in dem die Geschichte spielt. Und dann die Beziehung zur Schule, die wir alle haben. Mir gefiel die Idee, die Institution und die Autorität zu verkörpern, die durch Joseph repräsentiert werden, der eine wichtige Rolle in seinem Dorf spielt, und seine Konfrontation mit der Lehrerin, einer anderen Autorität.
Éric Besnard sagt, dass er den ganzen Tag damit verbringen könnte, für Sie zu schreiben, und dass es ihm hilft, an Sie zu denken, wenn er für andere schreibt. Schön zu hören, nicht wahr?
Es ist sogar großartig. Das Schwierigste, was man mich fragen kann, ist: Wovon träumst du, eines Tages zu spielen? Die Antwort: Nichts. Wenn niemand einen Schauspieler in einer Figur sieht, hat er keine Möglichkeit zu existieren. Das von Éric zu hören, ist also wirklich großartig. Es berührt mich auf jeden Fall sehr, aber ich kann mir diese Verbindung zwischen uns nicht erklären. Vielleicht sind wir Teil der gleichen Familie. Aber es ist wahr, dass er mir alles gibt, was wir zum Arbeiten brauchen.
Wenn Sie das Drehbuch lesen, fangen Sie als sehr instinktiver Mensch schon an, sich Joseph vorzustellen?
Ja, und das ist etwas, was ich immer tue. Ich lese das Drehbuch nur einmal, auch wenn ich neue Versionen erhalte, und sobald ich es zu Ende gelesen habe, beginne ich gegen meinen Willen daran zu denken. Die Figur entsteht nach und nach und wenn zwischen dem Lesen und dem Beginn der Dreharbeiten ein Jahr vergeht, dann denke ich ein Jahr lang darüber nach, nicht ständig, aber oft, und manchmal denke ich über eine bestimmte Szene nach und wie ich sie konkret spielen könnte. Ich nehme vorweg, wie sie in Bezug auf die Spielfarbe aussehen könnte. Es ist eine Mischung aus all dem: kommen lassen, nachdenken und auch viel mit Éric diskutieren, was ich besonders gerne mache.
Haben Sie irgendwann versucht, sich über das Ende des 19. Jahrhunderts zu informieren?
Ich kann mich nicht erinnern, das getan zu haben, aber man hat mir Fotos gezeigt, und was die menschliche Natur betrifft, so gibt es im Vergleich zu heute kaum Veränderungen, auch wenn sie durch andere Codes vermittelt wird. Im Grunde sind die Menschen, ob Frauen oder Männer, immer noch dieselben.
Ist die Zeit der Lesungen im Vorfeld der Dreharbeiten für Sie eine Gelegenheit, alle Fragen zu stellen, oder hören Sie lieber zu?
Wenn ich Fragen habe, stelle ich sie natürlich, um zum Beispiel zu erfahren, wie eine bestimmte Szene gespielt werden soll. Aber ich höre auch gerne zu. Was ich an den ersten Lesungen mag, ist, meine Partner zu treffen und zu hören, wie die Figuren anfangen zu existieren und eine Stimme bekommen. Ich würde diese ersten Lesungen damit vergleichen, dass man sich etwas Wasser in den Nacken spritzt, bevor man ins Wasser springt. Man misst die Temperatur.
Hat Ihnen Éric Besnard viel über ihre Figur erzählt?
Ja, wir sprechen schon lange vor den Lesungen viel miteinander. Wir sprechen über die Figur, die ich spiele, aber auch über die anderen Figuren. Allerdings gibt es bereits sehr viele Hinweise in seiner Handschrift. Es gibt Dinge, die sehr präzise sind, und andere, die sich aus dem Nichts ergeben, die unterschwellig sind. Um sie zu verkörpern, beginne ich mit dem Schreiben und Szene für Szene wird die Figur durch all das, was zuvor gereift ist, zum Leben erweckt.
Interessant ist, dass Joseph auf eine sehr moderne Weise ein alleinerziehender Vater ist. Ist das eine Antwort auf Louises Feminismus und bringt sie und ihn auf Augenhöhe?
Ja, und ich denke, dass das damals nicht alltäglich gewesen sein muss. Wie modern ist das? Ich mag dieses Wort nicht besonders. Modern kommt aus der Mode, also möchte ich nicht modisch sein. Sind sie damit gleichgestellt? In meiner Erinnerung hatte ich beim Spielen eher das Gefühl, dass ich unterlegen bin. Joseph kann schließlich weder lesen noch schreiben.
Er ist übrigens der einzige Erwachsene im Dorf, der sich dafür entscheidet, etwas zu lernen. Was glauben Sie, warum? Aus Aufstiegsdrang, Ehrgeiz oder um Louise zu gefallen?
Er ist daran interessiert, derjenige zu werden, der es weiß, während fast alle anderen es nicht wissen, weil das seine Position stärken wird, aber ich glaube vor allem, dass das Erlernen von Lesen und Schreiben bedeutet, Louise öfter, fast jeden Tag, zu sehen. Bei ihr zu sein.
Was an Joseph ist Ihnen ähnlich und was an ihm ist sehr weit von Ihnen entfernt?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich Lust habe, das zu analysieren. Vielleicht aus Angst, dass mir die Antworten nicht gefallen. Also ja, Joseph ist handwerklich begabt und ich bastele gerne, das ist eine Gemeinsamkeit. Wie ich mag er die Schule nicht besonders. Letztendlich bin ich mir nicht sicher, ob ich so weit von ihm entfernt bin, aber das ist ein bisschen normal. Wir versuchen immer, das Positive in dem zu finden, was die Charaktere tun, die wir verkörpern. Wenn er ihr jedoch sagt, dass er ihr eine Schule baut, wenn sie ihn heiratet – das würde ich nicht tun.
Gibt es etwas an den Kostümen, das Ihnen ein bisschen mehr dabei hilft, sich in die Figur hineinzuversetzen?
Die Kostüme erzählen von einer Epoche und helfen sehr dabei, sich in die Rolle der Figur hineinzuversetzen. Madeline Fontaine hat Stoffe gewählt, die denen des späten 19. Jahrhunderts ähneln und vom Alltagsleben dieser Zeit erzählen. Das Hemd ist rau und warm und man trägt drei davon, weil es nützlich ist, um sich zu schützen.
Würden Sie sagen, dass Joseph sich durch den Kontakt mit Louise verändert? Wird er selbstbewusster, menschlicher, achtet er mehr auf andere und wird er zu einem natürlichen, beschützenden Anführer?
Genau das alles ist der Fall. Sie hat ihn zu einem besseren Menschen gemacht. Und ich habe mir gerne vorgestellt, dass Louise sich vielleicht eines Tages in Joseph verlieben und ihn heiraten würde, weil er ein guter Mensch geworden ist. Es gibt diesen so schönen Satz, den er am Ende zu ihr sagt: „Werde ich weiterhin um Sie werben können?“ Diesen Satz hätte er am Anfang nicht gesagt.
Es ist das erste Mal, dass Sie gemeinsam mit Alexandra Lamy vor der Kamera stehen. Kannten Sie ihre Arbeit, hatten Sie einige ihrer Filme gesehen?
Ich kannte sie durch ihre Filme, aber jeder kennt Alexandra Lamy. Ich war froh, sie zu treffen und wurde nicht enttäuscht. Die Arbeit mit ihr war eine großartige Erfahrung. Alles lief sehr einfach und reibungslos mit ihr.
Was für ein Regisseur ist Éric Besnard?
Er hat eine wahnsinnige Energie. Er ist derjenige, der das ganze Set zusammenhält und alle motiviert. Was den Text betrifft, den er geschrieben hat, so kürzt er ihn manchmal, um auf das Wesentliche zu kommen. Mit allem, was wir uns im Vorfeld erzählt haben, bleibt ihm nichts anderes übrig, als das zu tun, was gesagt wurde. Die Schauspielerführung findet beim Casting statt, wenn der Regisseur auswählt. Danach sind es Additionen: ein Text, ein Schauspieler, der Moment, der Partner, die Interaktion mit ihm oder ihr.
Sie bleiben immer am Set, auch wenn Sie nicht drehen. Welche Gründe gibt es dafür?
Am Anfang war es, damit man keine Zeit damit verschwendet, mich zu suchen. Dann bin ich auf den Geschmack gekommen. Ich bleibe gerne dort, mir wird nie langweilig. Es passiert immer etwas, ein Besuch, ein Requisiteur, der etwas macht, was er noch nie gemacht hat. Und einfach nur eine Szene anzuschauen, ist auf jeden Fall interessant. Und es hilft natürlich auch, in der Energie des Films zu bleiben.
Es gibt viele sehr genaue Details, die uns in das späte 19. Jahrhundert eintauchen lassen. War Ihnen dieses Bemühen um Realismus während der Dreharbeiten bewusst?
Nicht besonders, aber ich weiß, dass Eric, wenn er sich mit einer Epoche beschäftigt, viel arbeitet und viel recherchiert. Ich wusste, dass alles sehr genau war, also musste ich mir darüber keine Gedanken machen. In einer Szene backe ich Brot und dafür bekam ich Unterstützung von einem Spezialisten, der mir gezeigt hat, wie man das damals mit einem originalgetreuen Brotteig und einem kleinen Holzschaber gemacht hat.
Hat Sie diese langsame, fast kontemplative Art des Filmemachens, die von Momenten der Stille begleitet wird, überrascht, als Sie den Film gesehen haben? War sie im Drehbuch spürbar?
Nein, das war beim Schreiben nicht spürbar, aber ich glaube, Éric hatte es im Kopf. Aber ich finde, dass es extrem gut zu dieser Zeit passt. Die Stadt ist drei Tagesmärsche vom Dorf entfernt, wenn man sich keine Kutsche leisten kann. Mit dem Auto würde man heute eine Stunde brauchen. Die Zeit ist nicht dieselbe, sie verlangsamt sich, sie dehnt sich aus. Mir gefällt diese Idee.
Hat Sie die wichtige Rolle der Natur in dem Film berührt oder Kindheitserinnerungen geweckt?
Ich bin auf dem Land in der Normandie aufgewachsen. Die Landwirte erinnern mich an meine Kindheit. Einer der ersten Jobs, die ich mit etwa zehn Jahren gemacht habe, war es, Strohballen auf den Feldern zu sammeln und sie mit der Heugabel auf einen Karren zu laden. Und ich kann mich noch gut daran erinnern, wie heiß es im Hochsommer auf dem Feld war. Warum ist es auf den Feldern immer heiß?
Hatten Sie jemals von diesen Anfängen der säkularen Schule auf dem Land Ende des 19. Jahrhunderts gehört?
Nein, ich habe viel gelernt. Wie bei den ersten Restaurants anlässlich von À LA CARTE wusste ich nichts von diesen Anfängen der obligatorischen und säkularen Schule und dass sie so spät in unserer Geschichte stattfand.
Mit diesem Film wird einem bewusst, was für ein Kampf es gewesen sein muss, die laizistische Schule durchzusetzen. Waren Sie sich dessen bewusst?
Ich habe in der Schule sehr schnell Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt und das hat mir gereicht. Danach hatte ich eher das Gefühl, sie zu erdulden, und ich wusste nicht, was das für ein Kampf gewesen sein muss. Und es ist toll, diese Chance zu haben. Wir müssten sie erst verlieren, um zu verstehen, wie wichtig sie ist. Ich würde die Parallele zu fließendem Wasser ziehen, um zu verdeutlichen, wie sehr das, was uns selbstverständlich erscheint, nicht immer so war. Wenn man heute ein Glas Wasser möchte, geht man zum Wasserhahn. Heiß, kalt, es ist verfügbar. Genauso wie Bildung, nur dass sie kostenlos ist. Und was für eine schöne Idee: das gleiche Lernen, die gleichen Chancen für alle. Und schließlich ist diese Schule, die bildet, auch in der Lage, die Kinder zu sozialisieren, die sozialen Kategorien zu mischen, kurzum, die Welt zu öffnen.